Die Rechten gedenken schon lange und an vielen Orten. Tausende Kriegerdenkmäler und noch viel mehr Büsten von Personen durchaus auch fragwürdiger Verdienste stehen in den Landschaften der Republik. Das Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer und anderer rechter Verbrechen hat hingegen wenige Orte. Im Bundesland Vorarlberg beispielsweise dürfte das Verhältnis etwa 100 : 4 sein. Und in jedem einzelnen Fall hat es viel Mühe und Zeit gekostet, ein Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. In Wien hat es für die Wehrmachtsdeserteure eben bis 2014 gedauert!
Matthias Dusini ist wohl nie auf das X des Olaf Nicolai am Heldenplatz hinauf gestiegen, wie Heinz Fischer das am Tag der Einweihung tat. Wer oben steht wird Teil der Installation und sieht, was auf dem X zu lesen ist. Wem sich die Gedankenarbeit des Künstlers dann immer noch nicht erschließt, dem sei das Buch "Verliehen für die Flucht vor den Fahnen" (Göttingen 2016) empfohlen, welches die Entstehung und die Hintergründe des Mahnmals ausführlich dokumentiert. Auch ein Gespräch mit dem Künstler Olaf Nicolai ist enthalten sowie eine Erörterung fünf weiterer Entwürfe.
Ich war damals Mitglied der Jury, welche die aus dem Wettbewerb hervorgegangenen Entwürfe gesichtet und am Ende das X ausgewählt hat. Auch als Teil der Minderheit, die einem anderen Entwurf den Vorzug gegeben hätte, befremdet mich die aggressive Diktion Dusinis, wenn er von "Geldverschwendung", von "belangloser Rätselhaftigkeit" oder gar von "arroganter Abstraktion" und "Gedenkschrott" schreibt. Das X lädt offensichtlich zum Gedenken an die einsame Entscheidung des Deserteurs ein und erlaubt gleichzeitig "gedankenloses" Jausnen auf seinen Stufen. Auch als Ort öffentlicher diskursiver Auseinandersetzung hat das X schon gedient, weil es genau dafür natürlich auch passt. Es ist also ein benützbarer öffentlicher Ort - und das ist mehr, als viele andere Mahnmale leisten können.