Kärnten - aus der Zeit gefallen

Wer durch Klagenfurt schlendert und einen Blick auf den Dom aus dem 16. Jahrhundert werfen will, dem kann es passieren, dass er eines eigenartigen Gedenksteins gewahr wird. In Sichtweite der SPÖ Parteizentrale steht dieser 2002 renovierte Stein:

Ich habe mit wachsendem Erstaunen die Inschrift gelesen und bin um den Stein herum gegangen in der Erwartung, dass sich auf der Rückseite ergänzende Erklärungen, eine historische Einordnung oder eine entgegengesetzte Sichtweise finden ließen. Doch die Rückseite ist leer, es gibt keine Einordnung, keine Erklärung.

Vieles wäre zu ergänzen, damit der Stein da stehen bleiben kann, ohne Widerwillen hervor zu rufen, ein paar Ideen dafür:

  • Die Geschichte der Besiedlung Südkärntens und das Zurückdrängen der Slowenischen Bevölkerung nach Süden im 8. Jahrhundert durch Franken und Baiern.
  • Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920, als sich die slowenischsprachige Bevölkerung Südkärntens für den Verbleib bei Österreich aussprach
  • Die Versuche der Zwischenkriegszeit, die slowenischsprachige Bevölkerung durch die Schule deutschsprachig zu machen
  • Die Absiedlungspläne des Naziregimes, das sich 1942 daran machte, die slowenischsprachige Bevölkerung zu deportieren, um „Volksdeutsche“ in Südkärnten anzusiedeln
  • Die Verbrechen der Wehrmacht und der SS an der Zivilbevölkerung, beispielhaft dafür das Verbrechen am Peršmanhof zwei Wochen vor Kriegsende: SS Polizeieinheiten brachten auf dem Hof elf Zivilist*innen um, davon sieben Kinder. Die Täter wurden nie zur Verantwortung gezogen
  • Die Rolle des bewaffneten Widerstands der Kärntner slowenischen Partisanen, ohne den die Wiederentstehung eines freien, ungeteilten Österreichs kaum denkbar gewesen wäre (siehe Moskauer Deklaration)
  • Der Ortstafelstreit 1972 bis 2011, der außerhalb Kärntens Unverständnis und Widerwillen hervorrief

Nichts davon. Und noch immer kommt es vor, dass slowenische Gesänge auf Volksfesten oder in der Kirche unterbunden werden. Es ist erstaunlich, dass es in Kärnten noch immer nicht recht gelingt, die Zweisprachigkeit der Kärntner Slowen*innen als Ressource, als großen Wert zu betrachten im vielsprachigen Europa. Es ist verblüffend, dass Italien es schon seit langem schafft, seine deutsch- und ladinischsprachigen Minderheiten wertschätzend zu behandeln, während für Kärntner Slowen*innen bis heute die Frage von Bedeutung ist, ob sie „nun tatsächlich ‚echte‘ Österreicher sind.“ (Maja Haderlap 2019)

Die diskriminierende Wirtschaftspolitik der Kärntner Landesregierungen, welche die ökonomische Entwicklung der slowenischsprachigen Gebiete nach Möglichkeit bremste, insbesondere, wenn das Mutterland Jugoslawien investieren wollte, hat dazu geführt, dass eine Region mit großen landschaftlichen Ressourcen und vielfältigsten Bildungsmöglichkeiten hinter fast allen anderen Bundesländern zurück bleibt. Das hat niemandem genützt.

Im Sinn eines Zusammenwachsens in der Region; im Sinn einer wirtschaftlichen Entwicklung in einem Land großer Möglichkeiten; im Sinn von Kooperation und Vertrauen gäbe es viel zu tun. Ein Kleines wäre es, den Gedenkstein einzubetten in seinen geschichtlichen Hintergrund.

Hinweise:

Florjan Lipuš: Boštjans Flug

Birgit Sommer: Der Graben / Grapa

Maja Haderlap: Engel des Vergessens, Im Langen Atem der Geschichte

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