Das Web 2.0 sind jene technische Innovationen, mit denen wir unsere Spuren hinterlassen: Kommentare, Bewertungen, Votings, Bilder, und Bookmarks, die wir anderen bereitstellen. Wer noch keinen Account auf del.icio.us hat, sich die Bücher nicht auf Amazon und die Musik auf last.fm empfehlen lässt, nicht in OpenBC eingetragen ist und nicht RSS liest, läuft Gefahr, den Anschluss beim Klicken durchs Web zu verpassen. Wer nichts beiträgt wird nicht gesehen und bleibt auf der Strecke. Wer diese Techniken geschickt einsetzt, wird seine Ich-AG im Netz gut positionieren.
Zitat: Mit dem Web 2.0 sehen wir einer "digitalen Spaltung zweiter Ordnung" entgegen. (Thomas Burg, zitiert im Artikel "Die Humanisierung des Netzes" von Mario Sixtus in DIE ZEIT 35/05).
Die Wiener Netzkulturszene hat den Trend erkannt und einen Mechanismus ausgetüftelt, der nicht nur symbolisches Kapital virtuell verteilt, sondern aus Bewertungen abgeleitet auch gleich echte Kohle bescheren soll. Wer gute Ideen hat, soll mit Mana beglückt werden, wer einen Hub betreibt wird bei diesem gegenseitigen Ranking auch profitieren. Der basisdemokratische Versuch zur Verteilung von Steuermitteln ist spannend, erfordert jedoch Transparenz und Disziplin, da sonst mit Neid und Seilschaften zu rechnen ist. Irgendwie fühlen wir uns an die Ideale der 70er erinnert, mit dem Radiohit (und der Titelmelodie der TV-Serie Sesamstrasse): Mana, mana - di - di - diridi.
Ohne Wille kein Weg
Bevor wir uns den Mechanismus genauer ansehen, ist die Frage nach der kulturpolitischen Dimension zu stellen. Sowohl Bund als auch Stadt Wien waren in den letzten Jahren nicht in der Lage, Schwerpunkte für die Förderung der Netzpolitik zu formulieren oder die Förderung nachvollziehbar zu gestalten. Auch wenn das Mediencamp im Sommer 2003 mit mehr als 100 Veranstaltungen die Lebendigkeit der Netzkulturszene aufzeigte, war kein politischer Wille sichtbar, nachhaltige Strukturen zu schaffen, abgesehen von der Installation eines Community-TVs, was jedoch schon vorher Teil des Regierungsprogrammes war. Ein Vergleich mit den Niederlanden lässt schnell erkennen, dass die kulturellen Implikationen der Informationsgesellschaft im Land von Klimt und Mozart nicht reflektiert werden wollen, nach dem Motto "Des Internett wear ma a no durchstehn". Netzkritische Institutionen wie xs4all, de waag (Amsterdam) oder FoeBud (Bielefeld) hatten hierzulande Pendants, aber nachhaltige Arbeit scheint nicht erwünscht zu sein.
Wenn der METRO Konzern auf der CeBIT die Zukunft des Einkaufens im Future Store in einer eigenen Halle präsentiert, wenn RFID Chips auf Medikamenten in meiner Tasche den Gesundheitszustand an der Tür zum Personalchef verraten, wenn Informatikdienstleistungen unter unmenschlichen Bedingungen nach Rumänien und Indien outgesourct werden: hier kann die Netzkultur eine kritische künstlerische Auseinandersetzung leisten. Oder besser könnte: denn der politische Wille zu einer Netzkultur jenseits der "Creative Industries" ist seit Morak auf Bundesebene nicht vorhanden. Auch in Wien werden die Fördersummen reduziert, wenn nur mehr 250.000 Euro im Jahr für alle Projekte und Initiativen bereitstehen sollen. Im Sommer 2003 war noch von einer Million die Rede, die umverteilt werden sollen. Zum Vergleich: der österreichische Theatersektor kostet mehr als 100 Millionen Euro im Jahr an Steuergeld.
Das MANA-GAME zur Verteilung der gekürzten Mittel in der Medienkunstszene könnte mit einem Kollateralschaden enden, nämlich falls das Experiment nicht klappt. Dann wären nicht nur bislang funktionierende Strukturen aufgelöst, sondern auch der Beweis erbracht, dass die Mittel besser anders eingesetzt werden, vielleicht zur Förderung von Jungunternehmern, die eine innovative Idee verfolgen. Doch ohne Kultur keine Ideen, zumindest nicht solche, die einen ins Staunen versetzen. Wir brauchen Netzkunst, Kritik und radikale Konzepte.
Eine radikaldemokratische Wegmarkierung?
MANA ist ein radikales Konzept der Selbstverwaltung, das vielleicht sogar unsere Demokratie weiterentwickeln könnte. Wie die erste Runde konzipiert war, gehorchte MANA jedoch nicht allen notwendigen Spielregeln für demokratische Prozesse. Die Spielregeln sind publiziert und somit transparent, wenn auch nicht leicht nachvollziehbar. Gut verständlich sind zwar Gesetztestexte meist auch nicht, dennoch sind die Spielregeln eines Kuratoren- oder Beiratsystems leichter erklärt. Ein grafisch aufbereitetes Schema, das den Ablauf darstellt, würde zur Erhöhung der Transparenz beitragen. Unklar kommuniziert sind die Teilnahmebedingungen: Muss das Projekt in Wien umgesetzt werden? Wie müssen sich Bewerber/innen selbst darstellen? Wie wird deren Identität geprüft? So haben etwa die Netzkulturinitiativen Österreichs eine gemeinsame Plattform (www.konsortium.at) und Mailingliste, doch wurde die erste MANA-Ausschreibung auf dieser nicht publiziert. Unbefriedigend sind die Regeln zum Berichtswesen. Wer in den Genuss eines geförderten Projektes kommt, soll diese im Netz veröffentlichen, heisst es lapidar in den FAQs. Hier fehlen Richtlinien, was ein solcher Bericht zu enthalten hat, und ob und wie dargestellt werden soll, wofür die Mittel verwendet wurden. Auch wenn es sich um eine Personenförderung handelt, sollte es für die Fördergeberin möglich sein, nachzuvollziehen, wie die Mittel etwa in einer Projektgruppe verteilt worden sind. Die beteiligten Personen stehen ja nicht ausserhalb des Steuersystems und muessen ohnehin buchführen, wie sie Einkommen verwenden.
Ein weiterer Kritikpunkt, der leicht zu beheben wäre, ist die fehlende inhaltliche Zielsetzung. Allein auf Selbstregulierung zu setzen, dass die Teilnehmer/innen (potentiell alle Menschen mit Internetzugang) eben schon wüssten, was Netzkultur sei, könnte zum Bumerang werden. Nämlich dann, wenn Leute versuchen, in den Genuss des MANA-Regens zu kommen, die keinerlei Affinität zur Netzkunstkultur zeigen, bewusst die Verteilmechanismen manipulieren und die Gelder umlenken.
Professionalisierung als Bordsteinkante
Das MANA Experiment muss fortgesetzt werden, jedoch mit präziser Kommunikation, professioneller Moderation und wissenschaftlicher Begleitung. Als Experiment muss es jederzeit überprüfbar sein und weiterentwickelt oder verworfen werden können. Ansätze dazu sind vorhanden und wurden konsequent bis zur ersten MANA Verteilungsrunde weiterentwickelt. Das am 28. April 2006 veröffentlichte Ergebnis fördert einige spannende Projekte, wie etwa die Erweiterung anonym verwendbarer Hotspots oder ein Archiv basierend auf Hyper-Audio-Learning. Schaler Beigeschmack der ersten Verteilrunde: Die höchste Förderung ging an Joe Noname, der sein Projekt auf der Mailing-Liste (zumindest unter diesem Namen) nie vorgestellt hatte. Die Beteiligten und Promotoren werden angesichts des ohnehin viel zu kleinen Kuchens sich gewiss nicht ausruhen, sondern werden die Methoden, die Kommunikation und die Transparenz weiterentwickeln. Das ist allein schon deshalb notwendig, um gegenüber der Stadt Wien, welche den Kulturauftrag in diesem Sektor mitzuerfüllen hat, nicht einen Grund zu liefern, den Fördertopf nochmal zu reduzieren.
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Weshalb es in Wien keine Sesamstrasse gibt