IFIP paper 1994

Technology Assessment im kulturellen Sektor:
Die Medienkunst alsstrategischer Partner

Paper erschienen im Tagungsband des 13th IFIP WorldComputer Congress 28. 8.- 2. 9. 94 in Hamburg (Wolfinger, Bernd (Hg.):Innovationen bei Rechen- und Kommunikationssystemen Springer: Heidelberg1994)

Technology Assessment im kulturellen Sektor:
Die Medienkunst als strategischer Partner

Roland Alton-Scheidl

Die Computerkunst bewegt sich heute im Spannungsfeld zwischen wohlwollenderAnnektion immer besserer und schnellerer Technologie und einem distanzierendenKarikieren ihrer Wirkungen. Computerkunst trägt damit einerseits zurallgegenwärtigen Beschleunigung[1]und Ästhetisierung der Waren- und Symbolwelt bei, andererseits versuchtsie, neue Kontexte erst herzustellen und sichtbar zu machen.

Ich werde anhand einer kürzlich durchgeführten Studie überMedienkunst in Österreich[2] und unterBerücksichtigung internationaler Entwicklungen zwei Fragen nachgehen:Erstens, welche Veränderungen lassen sich an den Produktionsweisen vonKunstschaffenden, die mit dem Computer arbeiten, erkennen? Ergeben sich dadurchForderungen an die Computerindustrie? Und zweitens - vice versa - hat Kunst,die sich mit neuen Technologien auseinandersetzt, Einfluß auf dietechnolgische Entwicklung? Kann sie das und will sie das?

Die erste Frage nach der Veränderung von Produktionsweisen ist eineklassische Aufgabe der Technikbewertung. Wir beobachten die Diffusion einerTechnologie in einem bestimmten Sektor und fragen nach ihrengesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen.

Zunächst hat die Arbeit mit elektronischen Medien Wirkung auf dieOrganisationsform der Kulturschaffenden, die vielfach in Paaren oder Gruppenarbeiten - als Verein, informell oder virtuell. Dies ist einerseits auf denhohen Spezialisierungsgrad zurückzuführen, andererseits auf denProjektcharakter vieler Arbeiten, was eine Teamarbeit mit Personen mitSpezialqualifikationen unabdingbar macht. Die Arbeit mit elektronischen Medienhat sowohl Werkzeug- als auch Objektcharakter: ist für einen Teil derKünstler das elektronische Medium nur ein Hilfsmittel, so ist es fürandere Objekt der Auseinandersetzung, wobei vielfach das neue Werkzeug dieInhalte erst möglich macht. Ein dritter Aspekt zur Veränderung derSchaffensbedingungen ist der Wandel der Präsentationsorte: Dem Aus-Stellenund Vor-Führen weichen entweder prozeßhafte, semiwissenschaftlicheAnnäherungen an ein spezifisches Publikum (ars electronica, Mediale,unitn [3]) oder neuenInteraktionsformen mit einem dispersen Publikum, etwa über Mailboxen oderSatellitenfernsehen.

Neben der Forderung nach adäquater finanzieller Förderung, die,gemessen an den Umsätzen der Elektronik- und Medienindustrie, dieMarginalitätsgrenzen endlich überschreiten sollte, sindSachleistungen in Form von langfristigen Leihgaben von Geräten stetswillkommen. Die Belegung medial öffentlicher Orte erfordert inverstärktem Maße Zugänge zu Netzwerken und Sendern, und dieVerwendung immer speziellerer Technologien macht den Zugang zu Expertenwünschenswert, ansonst gibt es jedoch keine speziellen Anforderungen andie Computer- und Medienindustrie. Interessant ist die Abkehr vielerMedienkünstler von High-End Produkten und die Zuwendung zu low-costTechnologien, die mehr experimentellen Spielraum zulassen.

Die zweite Frage nach der Korrektivkraft von Kunst an der Technik scheint mirwesentlich spannender - wenngleich umstrittener. Paul Brown glaubt an einenpositiven Nutzen der künstlerischen Auseinandersetzung mit neuenTechnologien:

"By involving artists (and I use the label in its widest possible sense) andother creatives, I believe that we may be able to help ensure that the newtechnology is balanced and potentially benevolent." [4]

Wogegen Peter Zec eher skeptisch ist, wenn er fragt:

"... wo und wie Intellektuelle und Kunstproduzenten in der heraufziehendenInformationsgesellschaft noch eine mitbestimmende Funktion übernehmenkönnen, ohne - wie es zur Zeit vielfach geschieht - als propagandistischeHandlanger auf dem Feld der Medienentwicklung sowie der Akzeptanzförderungfür neue Technologien eingesetzt und geschickt mißbraucht werden." [5]

Ziel der avantgardistischen Bewegungen (Futurismus, Dadaismus) war es, diesoziale Institution einer autonomen Kunst zu zerstören und Kunst und Lebenmiteinander zu verschmelzen[6]. Doch ineiner medialen Bilderflut, wo alles bereits perfekt gestylt ist, kommtBildkunst zu keinen Aussagen mehr, ihr Protest wird stumpf [7]. Das Problem der Avantgarde ist nicht mehrdie Repression durch gesellschaftliche Institutionen, sondern die Indifferenzder Öffentlichkeit. Die Ästhetisierung der Arbeit, der Natur und desAlltags geht einher ohne radikale Veränderung des Lebens. Folge ist einRückzug vieler Kunstschaffenden in Selbstreflexivität und die Bildungvon Szene-Inseln, die auf symbolischer Ebene eine gewisse Autarkie ausbilden.Bilden hier die Technikkünstler eine Ausnahme? Zu welchen Aussagen kommensie? Ist Technik von außen gestaltbar? Und wenn ja, unter welchenBedingungen?

Marcuse und Habermas identifizieren Technik als "Ideologie" bzw. als"gesellschaftliches Projekt" und nicht als Sachzwang. Politisches Handelnentsprechend einer Ideologie verfügt sehr wohl über Spielräume,die kulturelle Entwicklung zu beeinflussen. Diese Tatsache ist von zunehmenderRelevanz, da ein Brüchigwerden des technologischen Paradigmas bei derBevölkerung, bei Entscheidungsträgern und selbst bei Technikern [8] unübersehbar ist. HeutigeTechnikfolgenabschätzung überprüft jedoch vor allem diesozio-ökonomische und ökologische Verträglichkeit. Sie stelltein sozial wünschenswertes dem technisch Machbaren voran. Imtraditionellen Kunst- und Kulturbereich ist man von so einer Sichtweise nochweit entfernt. Die Medienkunst, und insbesondere die Telematik, so derMediensoziologe Alfred Smudits,[9]könnte jedoch eine Beschleunigung der Anwendung von "TechnologyAssessment" im Kulturbereich bringen, da sie nicht nur auf die Marginalienkultureller Kommunikation beschränkt bleibt, sondern sich auf denFreizeit- und Arbeitsbereich unmittelbar ausdehnt.

Technikfolgenforschung im Bereich kultureller Kommunikation hätte dieAufgabe, zunächst ästhetische, ökonomische, soziale, rechtlicheund technische Möglichkeiten und Grenzen konkreterKommunikationstechnologien zu erfassen und sodann Gestaltungsspielräumeauszuloten. Eine sozialwissenschaftlich orientierte Kulturforschungmüßte den Brückenschlag zwischen Kunst und Technik, zwischenKulturschaffen und Kommunikationstechnologien schaffen.

Dies ist auch gleichzeitig die neue Dimension des Technology Assessments: Siemuß heraustreten aus der bloßen Bewertung und Politikberatung, diestets entweder zu früh erfolgt (A), also am Beginn einer technologischenEntwicklung mit zu vielen offenen Parametern, oder aber zu spät einsetzt,erst dann, wenn die Politik nur mehr zwischen gegebenen Alternativen zuentscheiden hat (B). Die Technikbewertung müßte in dieTechnikentwicklungsphase integriert werden (C), um vom Zeitpunkt der Idee bishin zur Produkteinführung Faktoren wie Sozialverträglichkeit,Benutzerfreundlichkeit, Umweltverträglichkeit oder anhaltendeEntwicklungsfähigkeit miteinzubeziehen. Der Prozeß derbewußten Gestaltung von Technik ist vielerorts ja bereits in Ganggekommen, seitdem viele Technikentwicklungen als "organisierte Nicht-Akzeptanz"(Robert Tschiedel) nicht nur volksökonomisch, sondern auchbetriebswirtschaftlich negativ zu Buche schlagen. Die sozialverträglicheTechnikgestaltung selbst ist kein Rezept oder ein Kriterienraster, das derTechnik übergestülpt werden kann; es bringt vielmehr diePlastizität von Technik und die Plastizität des sozialen Umfeldes zuBewußtsein und erhebt die Forderung, Technikentwicklung alsgesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen. [10]

Integrierte Technikfolgenforschung bedeutet in diesem Kontext also, die Geneseneuer Technologien, Verfahren und Anwendungen nicht alleine den Marktstrategenund Entwicklungsingenieuren zu überlassen, sondern interdisziplinäreTeams von Anfang an miteinander arbeiten zu lassen, die eine wesentlich weitereProblemsichtweise und Methodenvielfalt aufbringen. Im Bereich derKünstlichen Intelligenzforschungen konnten mit diesem Ansatz bereitseinschlägige Erfahrungen gemacht werden [11]. Es gelang zum Beispiel durch dieMitwirkung eines Soziologen mit Medienerfahrung in einem Projekt zur Verteilungvon Sachwissen, die Leitvorstellungen vom künstlichen Expertenwegzubewegen - hin zur Leitidee eines kollektiv geteilten und kommuniziertenWissens, an der Gesprächsmetapher, um sich am Konzept eines interaktivenHandbuches zu orientieren. Werner Rammert schlägt vor, eine jeweilsangemessene Organisationsform zu finden, welche die relative Autonomie derdisziplinären Sicht- und Herangehensweisen gewährleistet und welchegleichzeitig dazu zwingt, sich wechselseitig wahrzunehmen und die Ergebnisseder anderen in die eigene Sicht hineinzunehmen. Verbundprojekte und Netzwerkezwischen verschiedenen Forscher- und Entwicklergruppen, unter Einbeziehung vonKünstlern als Mediatoren, können - als lockere Kopplungen organisiert- im Sinne der integrierten Technikfolgenforschung Bedingungen fürakzeptanzoptimierte und gleichzeitig sozialverträgliche Lösungenentstehen lassen. Diese Kooperationsformen üben mehr Verbindlichkeit alsMarktbeziehungen und weniger Zwang als organisierte Hierarchien aus. Sieermöglichen wechselseitige Reflexivität der Erkenntnisse undInteressen. Statt instrumenteller Eingriffe von außen, die sich mitvielen Reibungsverlusten häufig kontraeffektiv auswirken, vertraut sie aufkontextuelle und reflexive Formen der Beeinflussung der Selbststeuerung in denjeweiligen Feldern.

Medienkünstler sind im Informations- und Kommunikationstechnologiesektorin mehrfacher Sicht ideale Partner in solchen Teams: In der Konzeptionsphasesind Trendkenntnisse und (inter)nationale persönliche Kontakte wichtig.Während der Produktentwicklung sind multi- und interdisziplinäresDenken und Arbeiten, Experimentierfreudigkeit, Feldversuche und Testbeds samtImprovisationsgeschick entscheidend. Und ansprechende Präsentationsformenzu finden ist eine tägliche Aufgabe in der Medienkunst.

Drei Beispiele aus Österreich für die Partizipation vonKunstschaffenden in der Technikentwicklung sollen dies illustrieren: (1) ImProjekt "11 Wochen Klausur" koordinierten Künstler in Zusammenarbeit mitkaritativen Organisationen, Sozialarbeitern und Betroffenen diezweckgemäße technische Ausstattung eines mobilen Versorgungsbus, mitdem obdachlose In- .und Ausländer kostenlos und ohne Krankenscheinmedizinische Betreuung angeboten wird.[12](2) Die elektronische Galerie Bois verkauft Bilder über eine Mailboxund testet vorab, was uns mit video-on-demand ins Haus steht. Ein Hardware- undein Softwareproduzent sind in diesem Projekt integriert. (3) Und an derForschungsstelle für Sozioökonomie an der ÖsterreichischenAkademie der Wissenschaften wird ein Technikentwicklungsprojekt für einöffentliches Voice-Mail-System koordiniert, an dem Medienkünstlerinvolviert sind. Sie testen Prototypen, gestalten das Sound- und Grafikkonzeptund passen auf, daß das "mind-mapping" für den Benutzer klappt.

In der künstlerischen Auseinandersetzung mit neuen Technologien tritt einprozeßhaftes Schaffen, eine Erforschung von Instabilitäten entlangaktueller technischer Entwicklungstrends in den Vordergrund. Gene Youngbloodnennt jene neue kreative Disziplin, die die Kunst ablöst, Metadesign,"Design im weitesten Sinne des Wortes, eine echte Renaissance, die Kunst,Wissenschaft und soziales Leben unauflöslich in eins zusammenfügt" [13]. Metadesigner/innen entwickeln Kontexte,keine Inhalte. Sie entwerfen zum Beispiel Netzwerke im physikalischen Raum, diedie Existenz autonomer sozialer Welten im virtuellen Raum ermöglichen. DieAufgabe ist hierbei die Bereitstellung eines öffentlichen Raumes, nichtdas Schaffen einer öffentlichen Kunst. Youngblood bezeichnet dieseNetzwerke als Maschinen der höchsten Ordnung, die die Menschen in neueKommunikationsbeziehungen zu versetzen vermögen. Diese Allianz von Kunstund Technik mittels telematischer Netzwerke, die ein zentrales Arbeitsmodellfür Medienkünstler darstellen, würde, so Youngblood, die Kunstneu beleben, die Technik humanisieren und überdies jene Mittelhervorbringen, die es uns gestatten im großen Maßstab kreativ zusein.

Eine Avantgarde der technikorientierten Kunst hätte zumindest aus derSicht verantwortungsbewußter Technikentwickler die Aufgabe, dieAbschätzung von Folgen neuer Technologien vorzunehmen undGestaltungsvorschläge einzubringen.

[1] Peter Weibel: "Die Gesamtattackeder Maschinenwelt zielt auf Beschleunigung."

[2] Alton-Scheidl, Roland; Hochgerner, Josef; Höglinger,Andrea; Molnar, Martina; Pilz, Margot (1993): Technologische Kultur - EineStudie über die künstlerische Auseinandersetzung mit neuenTechnologien. Guthmann-Peterson: Wien. Sample: 72 ausgewertete Fragebögen+ 10 Tiefeninterviews, Rücklaufquote 43 %. Die Studie enthälteine Kurzbeschreibung der Kunstschaffenden mit Kontaktadressen.

[3] unitn war eine viermonatigeVeranstaltungsreihe im Frühjahr 1993 in Wien mit mehr als 50Abendveranstaltungen, zu der 20 internationale Medienkünstler fürWorkshops eingeladen wurden. Dokumentation: unitn Publikation.Reflexionen zu Kunst und neuen Medien: Eikon und Medien.Kunst.Passagen.(Hrsg.). Triton Verlag: Wien 1993.

[4] Brown, Paul (1990): Metamedia and Cyberspace. AdvanceComputers in the Future of Art. In: Hayward, Philip, Culture, technology &creativity in the late 20th century. London, Paris, Rom.

[5] Zec, Peter (1991): Das Medienwerk. ÄsthetischeProduktion im Zeitalter der elektronischen Kommunikation. In: Rötzer,Florian, Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien Ffm.

[6] Bürger, Peter (1987): Zur Theorie der Avantgarde.In: Christa und Peter Bürger (Hg.): Postmoderne: Alltag, Allegorie undAvantgarde. Ffm.

[7] Bürger, Christa (1987): Das Verschwinden der Kunst.In: Christa und Peter Bürger (Hg.): Postmoderne: Alltag, Allegorie undAvantgarde. Ffm.

[8] Hochgerner, Josef (1992): Techniker im technischenWandel. Analysen zur Veränderung von Beschäftigung und Qualifikationin technischen Berufen. Wien (AK).

[9] Smudits, Alfred (1990): Kommunikationstechnologien undKunst. Habilitation. Wien.

[10] Martinsen, Renate; Melchior, Josef (1993):Sozialverträgliche Technikgestaltung als neue Aufgabe von Staat undGesellschaft. Institut für Höhere Studien, Wien, S. 35.

[11] Werner Rammert (1993): Braucht dieTechnikfolgenabschätzung eine Integration in die KünstlicheIntelligenzforschung? Papier zum Verbundprojekt "Veränderungen derWissensreproduktion und -verteilung durch Expertensysteme".

[12] BüroBert (1993): Copyshop. Kunstpraxis &politische Öffentlichkeit. Edition ID-Archiv: Berlin-Amsterdam, S.170-171

[13] Youngblood, Gene (1989): Metadesign. In: Kunstforum Bd89, S 76-84, Köln.

Dipl.-Ing. Roland Alton-Scheidl ist an der Forschungsstelle fürSozioökonomie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mitForschungen im Telekommunikationssektor und zur Technikfolgenabschätzungtätig.
Adresse: Kegelgasse 27, A-1030 Wien, Tel. (+43 1) 7122148-37,Fax -34
EMail: scheidl@lezvax.oeaw.ac.at

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