Grüssgott in Vorarlberg

Tolle Landschaft, fleissige Menschen und Obrigkeitsgläubigkeit prägen Vorarlberg. Nun lebe ich seit 20 Jahren im zweitkleinsten Bundesland Österreichs am Bodensee. Es ist irgendwie genau so wie damals, als wir hergezogen sind. Ein konservatives Weltbild vermitteln nicht nur die Blätter von Russmedia (VN, Neue), sondern geradezu in Einklang auch der ORF.

Am 30.10.2023 zappte ich durch einige TV Kanäle. Ich war etwas angeschlagen und hatte entschieden, den Abend am Sofa mit einer Kanne Tee zu verbringen. Warum mal nicht wieder die tägliche Regionalnachrichtensendung Vorarlberg heute anschauen.

Die Sendung beginnt schon mal mit einem Gruss, den jene 32% der Bevölkerung, die sich nicht dem Christentum zugehörig fühlen und nicht an Gott glauben, vor den Kopf stösst. In anderen Bundesländern wird mit einem Guten Tag oder einem Guten Abend gegrüsst, vor allem auch um nicht auszugrenzen. Doch die Sendung scheint ja vor allem für Einheimische gemacht zu sein. Um Integration dürfen sich andere kümmern - oder sie findet dann auch nicht oder einfach nur rein zufällig statt.

Im ersten Beitrag geht es dann um eine Lieblingsbeschäftigung der Allemannen: dem Sparen. Brav erzählen die Kinderlein vor laufender Kamera, dass sie sich dann vom Ersparten ein Auto oder ein Haus kaufen wollen. Ich hatte als Jugendlicher andere Träume. Und der Bankensprecher Vorarlbergs, Michel Haller, bekam eine fünfminütige Werbefläche, weshalb es sich jetzt erst recht lohnt, sein Geld auf die Bank zu bringen. Bei einer Rezession, wie wir sie gerade erleben, ist dies volkswirtschaftlich die dümmste Idee, doch dazu gibt es im Interview keinerlei kritische Fragen.

Im nächsten Beitrag wurden Abtreibungsgegnern eine Bühne geboten - ebenfalls ohne jegliche kritische Fragen oder Gegenstimmen. Denn es soll nun möglich sein, im Krankenhaus Bregenz einen Abbruch vornehmen zu lassen - nach einem Beratungsgespräch und auf eigene Kosten.

Wir erinnern uns: zuerst war der Landeshauptmann Wallner dagegen, dass in Landeskrankenhäusern Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden. Das passierte übrigens just nachdem Die Neue aufgedeckt hatte, dass der Spar-Teilhaber Guntram Drexel über den Wirtschaftsbund der ÖVP Spenden zukommen ließ und als Gegenleistung den Ausbau des Messeparks genehmigt bekam (trotz massiven Widerstandes auch vieler ÖVP Bürgermeister).   Die ÖVP versteht es nur allzu gut abzulenken, indem sie die nächste Sau durchs Dorf jagt, wenn sie selbst Dreck am Stecken hat. Nach lauter Kritik nicht nur von starken Frauen gab es dann eine 180 Grad Kehrtwende. Wallner erzürnte damit nicht nur die Katholische Kirche, sondern auch einen Schwippcousin, der im Beitrag zu Worte kommt. Sie werden ihm alle verzeihen.

Die Krönung der regionalen Nachrichtensendung sind jedoch jugendliche Schmierer, die Verkehrstafeln und Betonwände besprühten. Ein Polizeikommandant erklärt das Strafausmaß und Gemeindearbeiter erläutern, welche Putzmittel sie einsetzen. Für ein subrs Ländle. 

Erstens handelte es sich wohl wirklich nur um einen Halloween-Streich und zweitens, was gibt es denn Lebendigeres als tolle Grafittis unter Brücken? Das waren hier sicher keine Meisterwerke, aber wenn gleich so abgeschreckt wird, kann sich auch keine Sprayer-Szene entwickeln. In anderen Regionen werden dafür Festivals organisiert - hierzulande kommt unmittelbar der Kärcher zum Einsatz.

Technisch sind die Beiträge gut gestaltet und auch die Moderation wirkt bemüht, die Problemlagen verständlich zu machen. Doch die Themenwahl und journalistische Qualität ist bei den Regionalredaktionen weit entfernt von dem, was ich mir von einem öffentlich-rechtlichen Sender erwarte. Bei anderen Programmflächen und   Formaten, die zentral produziert werden, sind ORF Journalist:innen und Chefredakteure hier durchaus auch bemühter.

Ich glaube ich brauche wieder mal eine etwas andere Umgebung, um mich von den konservativen Geistern, die hier im Ländle nicht nur rund um Allerheiligen ihr Unwesen treiben, zu erholen. Zwar hat sich in den letzten 20 Jahren auch etwas in Vorarlberg zum Positiven gewandelt: der öffentliche Verkehr wurde massiv ausgebaut und ich nutze diesen nahezu täglich. Doch die Autoflut fließt ungebremst auf der A14, der B190 und durch alle Schleichwege. Eine Verkehswende ist noch weit entfernt, stattdessen werden hunderte Millionen etwa in einen neuen Strassentunnel investiert.  Eine Fahrradstadt mit weiten Fussgängerzonen und buntem kulturellem Treiben, das wäre mal eine willkommene Abwechslung. Das Klimaticket habe ich eben verlängert, um mal wieder öfter in Wien, in meiner Heimatstadt Innsbruck, in meiner Geburtsstadt Zürich oder in Graz zu sein. Oder Leoben, diese wohl ziemlich lebenswerte Stadt habe ich gerade erst entdeckt und darüber auf meinem Mastodon Account geschrieben - über meine weiteren Ausflüge werde ich dort berichten.

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