Neunundreissigneunzig

Der Zündstoff "39,90" im Landestheater erstickt am Versuch, diesen als Spaßkomödie zu vermitteln.

Das Landestheater Vorarlberg widmet sich mit dem Stück "39,90" den neuen französischen Gesellschaftsanalytikern, die ihre Überlegungen zur Globalisierung und dem Endsieg des Kapitalismus in Romane verpacken. Ganz in der jungen Tradition der Autoren Houllebecq oder Camille de Toledo bringt Frédéric Beigbeder die Widersprüche des Lebens in den Nullerjahren rasch auf den Punkt: Arbeiten bis zum Umfallen, Auszehrung der Beziehungen und Ablenkung durch Exzesse. Die Figuren leben einen abstossenden Hedonismus trotz der Einsicht, dass dies auf Kosten anderer geschieht. Auf Kosten von Menschen, die entweder weit entfernt unter unmenschlichen Bedingungen Werte schaffen, die wir zu allem Überfluss trotzdem konsumieren, oder ganz nah auf Kosten von Kollegen, Partnern oder Nachbarn, die respektlos ausgepackt, verschlungen und weggeworfen werden.

Bei "39,90" geht es um einen Werbetexter, der zum Kreativdirektor einer Agentur wird, deren größter Kunde ein Lebensmittelkonzern ist. Leicht-Joghurt muss als Umsatzträger zuerst die Konsumenten, und dann die Aktionäre beglücken. Als der Protagonist Octave befördert wird, sinniert er: "Wir werden unsere Freunde feuern. Wir werden größenwahnsinnig und schamlos sein. Wir werden unsere Hemden bis oben hin zuknöpfen. Wir werden uns zwar einen Dreck drum kümmern, aber keiner unserer Verwandten und Bekannten wird uns mehr besuchen." Abseits der Dreharbeiten überfällt er mit seinem besten Kollegen und der Hauptdarstellerin im Joghurt-Clip eine betuchte Rentnerin, denn ihr Pensionsfonds mergelt die gewinnbringenden Unternehmen aus. Den Aktionärsvertretern, deren Reichtum sie verdankt, sind 10% Gewinn nicht genug - sie wollen Gewinnsteigerungen mit allen Mitteln, was Abwanderungen von Betrieben und Sozialdumping zur Folge hat.

Die Inszenierung von Christian Himmelbauer scheitert leider am Versuch, sämtliche Ebenen des Romans umzusetzen. Etwa die Flucht der ehemals geliebten mit dem totgeglaubten Chef auf eine Insel, wo alle Bewohner eine neue Identität genießen, die im Theaterstück aus dem Rahmen fällt. Oder die fiktiven Werbeeinschaltungen, die zusammenhangslos rezitiert werden, im Buch jedoch als Kapiteltrenner funktionieren. Die häufigen Umbauten wollten vielleicht die Unruhe der Werbebranche vermitteln, haben aber eher einen Slime-Effekt, der das Stück klebrig macht. Der oftmalige Medienwechsel (Audio, Video, Telefon, Bühne) war passend verzahnt, leider (zumindest noch in der Generalprobe) technisch aufgrund der starken Lautstärkeunterschiede und der falschen Positionierung der Tonquellen nicht adäquat umgesetzt.

Schade, dass ein so brisantes Stück die Zielgerade nicht schafft. Nett gespielt, aufregende und gut gemachte Videos, lustige Einlagen. Herr Petermichl hat als Dramaturg des Stücks und Intendant des Hauses dem Probenpublikum vor allem Spaß gewünscht und nicht Katharsis. Ist läuternde Erkenntnis, die durch Mark und Knochen gehen soll, am Bodensee unerwünscht?