Neue Wege der elektronischen Bürgerkommunikation: Das Grätzltelefon als Gehsteig an der Datenbahn [1]
Roland Alton-Scheidl, 1995
Inhalt
Neue Telekommunikationsdienste wie Online-Dienste, Internet, Audiotex oder Fax-on-demand geben vielerorts Anlaß zu Hoffnungen, daß bei der Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung, im Prozeß der Bürgerbeteiligung und der Erneuerung der Demokratie solche Dienste positive Effekte auf die Transparenz politischer Entscheidungen und Möglichkeiten der Mitbestimmung haben. Nicht zu übersehen sind die zahlreichen Versuche sowohl auf Seiten von Stadtverwaltungen als auch durch kommerzielle und non-profit Organisationen, diese neuen Medien zur Verbesserung der lokalen Kommunikation zu nützen: prominente Beispiele hierfür sind die "Digitale Stadt Amsterdam" oder die Community - Net Bewegung in den USA.
Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde nun erstmals eine Bestandsaufnahme diesbezüglicher Projekte und die bisherigen Erfahrungen gesammelt, einige theoretische Überlegungen angestellt und ein Feldversuch mit einem Telefondienst als Beispiel für einen sozialverträglichen Kommunikationsservice durchgeführt und ausgewertet. Das Forschungsprojekt wurde an der Forschungsstelle für Sozioökonomie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen ihres Technology Assessment Schwerpunktes mit Unterstützung der Stadtplanung und der Kulturabteilung der Stadt Wien durchgeführt und im Juni 1995 abgeschlossen. In diesem Aufsatz werden nun die wichtigsten Ergebnisse dargestellt. Insbesonders wird der Beschreibung des Feldversuches, der mit einem Audiotexdienst[2] realisiert worden ist, besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Informationssysteme für einen lokalen Bereich haben bereits Tradition. In den 70er-Jahren bestand die Zielsetzung darin, besseren und kompetenteren Service für die Benutzer der öffenlichen Verwaltung durch besser informierte Beamte zu gewährleisten. Daher richteten sich diese Informationssysteme an die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bürger, also an Verwaltungsbedienstete im Parteienverkehr. In den 80er-Jahren wurden in vielen Ländern über nationale Videotex - Systeme[3] lokale Informationsdienste eingerichtet. Doch mit Ausnahme einiger Dienste in Frankreich erlangte kein Projekt ausreichende Akzeptanz und Verbreitung.
Erst in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre waren neue Voraussetzungen für das Erscheinen eines neuen Typs von kommunalen Informationssystemen gegeben. Das Aufkommen von Personalcomputer und einfacher Telekommunikationssoftware erlaubten die Inbetriebnahme von Mailboxen, Online-Diensten und Audioboxen. Weiters erlangten erst jetzt Bürgerinitiativen und Bewohnerkommitees eine aktive Position im lokalpolitischen Prozeß, die neue Formen der technischen Kommunikation erproben, bei denen die Differenz zwischen Sender und Empfänger entsprechend der Arbeitsstruktur solcher Gruppen aufgehoben war.
Mitte der neunziger Jahre gelangen Lokalinformationen auch auf das weltweit größte Kommunikationsnetz: das Internet. Nun sind es wieder zumeist die Stadtverwaltungen selbst, die Grundinformationen über die Kommune bereitstellen, wobei hierbei der größte Nutzen am verwaltungsinternen Gebrauch liegt, denn die Anzahl der Bürger, die das Internet nutzen, liegt wohl in den meisten europäischen Städten noch unter zwei Prozent.[4]
Anwendungsfelder für lokale Telekommunikationsdienste
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Anwendungsfelder für lokale Telekommunikationsdienste
- Informationsbasisdienste der Gemeinde und anderer Organisationen
- Aktuelle Informationsdienste: Verlautbarungen, Dokumentation
- Stadtkalendarium, Veranstaltungskalender, Ankündigungen
- Orientierungshilfe an öffentlichen Plätzen
- Diskussion lokalpolitischer Entscheidungen
- Abstimmungen
- Lokale Wirtschaftsangebote fördern und besser nutzen
- Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe
- Bewertung und Einsatzoptionen interaktiver Medien
- Sozioökonomische Effekte lokaler telematischer Medien
- Der Feldversuch "Grätzltelefon für den Raum Aspern"
- Zusammenfassung
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Anwendungsfelder für lokale Telekommunikationsdienste
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Einige Anwendungen der Telekommunikationsdienste haben eindeutig demokratisch partizipatorischen Charakter, andere sind Hilfsmittel zum sozialen Austausch im lokalen Raum. Aber auch die zweitgenannte Kategorie kann mithelfen informelle soziale Netze entstehen zu lassen. Diese sind Vorstufen expliziter Organisationsformen der Selbsthilfe oder politischen Partizipation. Manche Dienste werden für eine größere Zielpopulation konzipiert und adressieren die gesamte Kommune, andere sind kleinteilig lokal konzipiert - so auch der unten beschriebene Pilotversuch "Grätzltelefon", der lediglich für einen Bezirksteil gestaltet worden ist.
1. Informationsangebote und -dienste
1.1 Informationsbasisdienste der Gemeinde und anderer Organisationen
1.2 Aktuelle Informationsdienste: Verlautbarungen und Dokumentation
1.3 Stadtkalendarium, Veranstaltungskalender, Ankündigungen
1.4 Orientierungshilfen in Ämtern und an anderen öffentlichen Orten2. Interaktive partizipatorische Instrumente
2.1 Diskussion lokalpolitischer Angelegenheiten
2.2 Abstimmungen3. Instrumente zur Belebung der Selbstorganisation und lokalen Identifikation
3.1 Tauschbörsen für Nachbarschaftshilfe
3.2 Präsentationsflächen und Märkte lokaler Wirtschaftsangebote
3.3 Willkommensdienst für Gäste und ZuzüglerInformationsbasisdienste der Gemeinde und anderer Organisationen
Basisinformationen zu Zuständigkeiten, Ansprechpartnern und Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen und Ämter zählten schon in der Frühphase von Stadtinformationssystemen zu den Standardinhalten. Telematische Medien stehen zwar gerade in diesem Bereich der statischen Informationen in großer Konkurrenz zu Printmedien, dennoch sollten Basisinformationen auch elektronisch vermittelt abrufbar sein. Wichtig sind auch Informationen über private Dienste und Organisationen, wie Selbsthilfegruppen oder Beratungszentren, die weniger leicht verfügbar sind.Frisch [5] hat anläßlich einer Akzeptanzstudie für das Hamburger Direkte Bürger-Informations-System (DiBIS) Informationsinteressen bei Behördenbesuchern ermittelt. Dabei ergab sich die nachstehende Reihung von Themenbereichen.
Informationsinteressen bei Stadtinformationssystemen. Die Prozentzahlen geben den Anteil an positiven Interessenbekundungen bezogen auf alle Befragte wieder.
Quelle: Frisch 1994, XXIInformationsinhalt Interessierte Alltagsinformation 90% Anspruchsinformation 85% Fahrplanauskünfte 83% Kultur 78% Veranstaltungskalender 75% Anspruchsberechnung (Sozialhilfen, Unterstützungen) 73% Strukturinformation (Zuständigkeiten, der Behörden) 67% Freizeit, Sport 66% Kommunalpolitik 61% Stadtführer 53% Gaststätten, Hotels 48%
Aktuelle Informationsdienste: Verlautbarungen, Dokumentation
Die aktuellsten und wichtigsten Informationen sollten besonders leicht auffindbar gemacht werden: z.B. Eröffnung neuer Einrichtungen und Dienste, neue Verkehrsverbindungen u.s.w. Sie können zum Beispiel als "Nachricht des Tages", die jeder Benutzer der Telekommunikationseinrichtung automatisch erhält, angeboten werden.Darüberhinaus gibt es weitere aktuelle Informationen, die verbreitet werden können: Tagesordnungen von Bezirks- und Gemeinderatssitzungen, Protokolle (sofern öffentlich) oder Berichte darüber, Berichte öffentlicher Bauverhandlungen über größere Projekte. Auch Archive dieser Informationen können geschaffen werden. Benutzer sollten die Möglichkeit haben, in speziellen Bereichen selbst Nachrichten anzubieten.
Stadtkalendarium, Veranstaltungskalender, Ankündigungen
Ein Kalendarium bietet Übersicht über alle Ereignisse in der Stadt oder im Stadtteil. Damit ist nicht nur ein Veranstaltungskalender gemeint, der kulturelle Ereignisse erfaßt sondern eine Liste aller aktueller Termine, die für die geographische Einheit Bedeutung haben; z.B.* Stadt- bzw. Bezirksratsitzungen
* Sprechstunden von Behörden und Politikern
* öffentliche Bauverhandlungen
* lokale Ereignisse wie Eröffnungen von Infrastruktureinrichtungen
* privat organisierte öffentliche Ereignisse wie Schulaufführungen, Straßenfeste, Flohmärkte
Orientierungshilfe an öffentlichen Plätzen
Eines der traditionellsten Dienstangebote von Stadtinformationssystemen: An öffentlichen Plätzen aufgestellte Terminals, eventuell mit Touchscreens, bieten auch Computerlaien Orientierungshilfen und lokal bedeutsame Informationen (zum Beispiel: verfügbare Behördendienste in Amtshäusern, nächstgelegene Verkehrsmittel, Restplatzbörsen). Auch Telefonbasierte Dienste eignen sich hierfür, denn die öffentlichen Terminals sind als Telefonzellen bereits vorhanden.Diskussion lokalpolitischer Entscheidungen
Dieser Anwendungszweck ist kennzeichnend für aktuelle Konzepte telematischer Medien. Öffentliche Diskussionen, an denen jeder teilnehmen und die über längere Zeiträume geführt werden, können durch interaktive Massenmedien realisiert werden. Hier liegt die wahrscheinlich größte demokratische Relevanz solcher Einrichtungen. Lebendige Demokratie benötigt den demokratischen Diskurs, die regelmäßige Begegnung von Bewohnern, Verwaltung und politischen Entscheidungsträgern. Dieser kann in einem telematischen Medium einen neuen Ort finden.Inhaltlich kann es dabei vor allem um aktuelle kommunale oder lokale Probleme gehen, besonders im Vorfeld von politischen Entscheidungen, z.B. um die Realisierung von Stadterweiterungsprojekten, Trassenführungen von Straßen oder Haltestellenplanung bei neuen öffentlichen Verkehrsmitteln.
Abstimmungen
Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, Abstimmungen und Wahlen mittels telematischer Dienste durchzuführen. Da aber weder von einem allgemeinen noch von einem gleichen Zugang zu den Abstimmungsmedien gesprochen werden kann, ist die demokratische Legitimität nicht gegeben, auch wenn sie, wie das Beispiel der Anruferzählungen ("TED") zeigt, durchaus politischen Druck ausüben können.[6]Lokale Wirtschaftsangebote fördern und besser nutzen
Bessere Information über lokale Einkaufs- und Freizeitangebote unterstützen die lokal vorfindbaren Einheiten und verringern das Verkehrsaufkommen. Den lokal ansässigen Wirtschaftsbetrieben werden dazu Präsentationsflächen eingeräumt. Mit Werbeflächen läßt sich auch ein Teil der Betriebskosten finanzieren.Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe
Wie über jedes Massenmedium können auch über telematisch basierte Stadtinformationssysteme Bevölkerungsinitiativen koordiniert werden. Dafür lassen sich viele Anwendungsbereiche finden: von Nachbarschaftshilfe bei der Kinder- und Altenbetreuung über Car-Sharing-Aktivitäten bis zur Integration neuer Bewohner ins Stadtviertel.Anwender elektronischer Medien empfinden häufig Gemeinschaftsgefühl gegenüber den Mitbenützern. Das funktioniert sogar im weltweit verbreiteten UseNet, mit mehr als 6000 Themenbereichen, dessen Nutzer sich in den meisten Fällen nie persönlich kennenlernen. Die Bereitschaft, innerhalb dieser Gemeinschaft mit Fachwissen und Tatkraft anderen zu helfen, ist sehr hoch. Darin liegt ein beträchtlicher Teil der Attraktivität und tatsächlichen Funktionalität von Bulletin Board Systemen. Diese Bereitschaft für Nachbarschaftshilfe oder freiwillige Gemeindedienste könnte über Telematikmedien stimuliert und koordiniert werden.
Über neue Telematikdienste lassen sich auch neue Formen des Fundraising durchführen. Neben Spendenaufrufen, können auch Dienste über Mehrwertdienst-Telefonleitungen eingerichtet werden, deren Benutzung dem Betreiber Einnahmen verschafft und für einen bestimmten Zweck verwendet wird.
Wenn Systeme bidirektionale Kommunikation erlauben, werden sie auch zu einem Kennenlern- und Treffpunkt ihrer Benützer. Daraus ergibt sich der Einsatz als lokales Integrationsinstrument für Personen, die ihren Wohnort gewechselt haben und nun sozialen Kontakt und Informationen in fremder Umgebung suchen.
Bewertung und Einsatzoptionen interaktiver Medien
In folgender Tabelle sind einige Kriterien angeführt, um die Eignung einzelner Medien für kommunale Kommunikationsaufgaben zu messen. Nur Online Dienste, Sprachboxen und internetbasierte Systeme gestatten in nennenswertem Maß bidirektionale Informationsflüsse. Außerdem ermöglichen sie einen zeitlich unmittelbaren Zugriff und einen hohen Aktualitätsgrad.(1) Erreichbarkeit der Zielgruppen
* Breite (möglichst viele erreichen)
* Präzision (genau die anzusprechende lokal oder demographisch definierte Zielgruppe)(2) Qualität der Informationsaufbereitung
* Verständlichkeit
* Auswahl des Informationsangebots(3) Bedienbarkeit (Benutzerschnittstelle)
* erforderliche Lernzeit bis zur erfolgreichen Handhabung der Grunddienste
* erforderliche Vorkenntnisse(4) Bidirektionalität
* Feedbackmöglichkeit
* einfache Möglichkeit selbst Informationen anzubieten(5) anfallende Kosten
* für Benutzer
* für BetreiberSprachboxen haben die niedrigste Zugangsschwelle - sowohl technisch - kein Computer muß zur Verfügung stehen, wie sozial - sie bedürfen nicht der Schriftform. Trotzdem ist zu erwarten, daß auch hier die sprachliche Ausdrucksfähigkeit ein wesentliches Zugangskriterium bleibt. Sprachboxen eignen sich vor allem für kleinere, überschaubare Bereiche - thematisch wie örtlich zu verstehen - und vermitteln mehr sprachliche wie nichtsprachliche Konnotationen.
Die Übermittlung von Inhalten eines "Community Net" über Kabel eines lokalen Kabelfernsehanbieters kann bei geeigneter Gestaltung des Benutzerendgerätes bzw. Kompatibilität mit vorhandenen Einrichtungen (Fernseher mit Videotextoption beziehungsweise Personalcomputer) eine wesentliche Erweiterung des Nutzerkreises ermöglichen.
Informationskioske erreichen auch eine große und sogar je nach Aufstellungsort unterschiedliche Zielgruppe. Sie können aber nur eine relativ beschränkte Informationsmenge effizient präsentieren, die zudem kostenintensiv aufbereitet werden muß.
Internetbasierte graphische Systeme können zwar Informationen gut präsentieren, sind jedoch hinsichtlich des Zugangs von technischen und finanziellen Möglichkeiten des Benutzers abhängig. Die Feedbackmöglichkeiten sind zwar relativ gut, jedoch benötigt das Aufbereiten von Informationen für ein derartiges System Fachkenntnisse.
Hinsichtlich Radio und Fernsehen gibt es aus der kommunikationswissenschaftlichen Literatur bekannte Einschätzungen. Rundfunk ist ein stärker kognitiv ausgerichtetes Medium und eignet sich gut zur Übermittlung von Informationen. Fernsehen spricht ungleich mehr affektive Zustände an. Sachinformationen gehen sehr häufig am Rezipienten vorbei. Lokales Fernsehen kann aber aufgrund der unmittelbareren Betroffenheit des Zusehers mit etwas mehr Aufmerksamkeit rechnen. Bei beiden Medien ist die "Symmetrie des Diskurses" (Einbindung der Zuseher oder - hörer) nur temporär unter Zuhilfenahme anderer Medien möglich.
Sozioökonomische Effekte lokaler telematischer Medien
Lokale Informationsysteme können ein breites Wirkungsspektrum entfalten. Die einzelnen Effekte sind nur unzureichend in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert. Dennoch zeigt die im Internet geführte Diskussion zwischen Medienbetreibern einige wiederkehrende Beobachtungen.[7] Im folgenden wird eine Struktur der Wirkungsebene entworfen.Sozioökonomische Wirkungsebenen lokaler telematischer Medien
Strukturierende Funktion
* strukturdifferenzierend
* gemeinschaftsbildendPartizipationsfördernde Funktion
* Begegnung mit lokal/kommunalpolitischen Entscheidungsträgern
* Konfontation mit lokal relevanten Informationen
* neuer lokaler Kommunikationsraum der Bewohner untereinanderStärkung des lokalen Raums
* lokale Wirtschaftbelebung
* zunehmende Wahrnehmung des nachbarschaftlichen Umfelds
* Stärkung der lokalen IdentitätEntwicklung der telematischen Kulturtechnologie
* "Understanding the medium of virtual community as the message"
* Übung des Gebrauchs telematischer Medien
* Fortentwicklung telematischer MedienStrukturierende Funktion
Ein typisches Merkmal von Telematikdiensten ist, daß sie in vielfacher Hinsicht strukturbildend wirken: Zunächst stellen sie eine neue Struktur der Teilnehmer her, die sich aus verschiedenen Gründen für den Gebrauch entscheiden und durch regelmäßige Kommunikation und Interaktion eine virtuelle Gemeinschaft bilden. Innerhalb eines Mediums wirken sie strukturdifferenzierend: Unterbereiche innerhalb des Mediums entstehen, die einen relativ festen Teilnehmerkreis haben.
Die beobachtete Wirkung von Datennetzen, latent vorhandene Gemeinschaften, die sich auf gleiche Interessenslagen gründen, zu versammeln (Beispiel: die österreichische Raver-Szene auf dem System "Black*Box"[8]), kann Vernetzungsprojekten selbst in bislang scheinbar kommunikationsarmen Umgebungen zum Erfolg verhelfen. Die Bereitschaft, neue Mitglieder in eine bestehenden elektronischen Gemeinschaft zu integrieren, ist, wie das Beispiel gezeigt hat, sehr hoch. Am chancenreichsten aber ist das neue Medium dort, wo es bereits funktionierende Gemeinschaftsverbände gibt, denen dann ein weiteres Mittel zur Verständigung in die Hand gegeben wird. Auch Apple Computer in seinem "Apple Community Grants Program" förderte ausschließlich "pre-networked communities", wobei als "networked" Interessensgemeinschaften zu verstehen sind.
Partizipationsfördernde Funktion
Verwaltung, Politik, private Organisationen, Vereine und Interessensgruppierungen können in einem Netzwerk als Informationsanbieter agieren. Das wirkt der Tendenz zur Monopolisierung der Informationsquellen entgegen. Damit werden Möglichkeiten geschaffen, das Informationsangebot lokal und nach Interessensgruppen zu differenzieren. Auch werden Politik und Verwaltung unabhängiger von kommerziellen Medien und erhalten neue Kommunikationsschienen.
Zwei Voraussetzungen zur politischen Partizipation können durch lokale telematische Medien verbessert werden: Informationsstand und sprachlich-kommunikative Kompetenz. Der bidirektionelle Charakter telematsicher Medien bietet die Gelegenheit zu einem fortlaufenden demokratischen Diskurs zwischen Verwaltung, Betroffenen und Politik, der aufgrund des Aufwandes, persönlich an Sitzungen teilzunehmen nicht stattfinden würde.
Letztlich kann die Entstehung neuer Teilöffentlichkeiten fallweise zur spontanen Organisation von Interessen führen. Gemeinschaften emergieren, die über das Medium entstanden sind, deren Wirkung aber weit darüber hinaus reicht.
Stärkung lokaler Identität
Telematische Medien können nicht nur mehr Informationen über die unmittelbare Nachbarschaftsumgebung vermitteln als herkömmliche Massenmedien, sie bieten auch Möglichkeiten zum lokalen Tausch von Gütern und Dienstleistungen. Ein neuer Platz zum Austausch von Angeboten der "Nachbarschaftshilfe" kann zumindest teilweisen Ersatz für verlorengegangene lokale Treffpunkte (kleine Bezirksmärkte, die lokale "Agora") bieten. Damit erlangen die Sozialkontakte, die in der geographischen Umgebung gepflogen werden, wieder an stärkerer Bedeutung.
Was für sozialen oder nachbarschaftlichen Tausch gilt, kann auch für die lokale Wirtschaft von Effekt sein: Der Lebens- und Erlebensraum konzentriert sich stärker auf die nähere Umgebung. Werbeaktionen erreichen ihr Zielpublikum ohne große Medienstreuverluste. Damit haben lokale Gewerbeangebote verbesserte Chancen bei den Konsumenten.
"Understanding the medium of virtual community as the message"[9]
Mit dem Eindringen einer neuen Kommunikationstechnologie in den Alltagsgebrauch entsteht eine neue "Kulturtechnik". Ähnlich der Wirkungs des Lesens, kann auch ihr gesellschaftsgestaltende Kraft angemutet werden. Aber die unmittelbarsten Auswirkungen betreffen das Medium selbst. Es verändert zwar die Menschen, unter denen sich seine Benutzung verbreitet, umgekehrt wirken die daraus resultierenden Erfahrungen auf das Medium zurück: Seine Fortentwicklung und damit Veränderung wird beeinflußt.
Der Feldversuch "Grätzltelefon für den Raum Aspern"
Die Zielsetzung des Feldversuches war es einen Telefonservice einzurichten, der es jedem Anrufer ermöglicht, lokalspezifische Informationen auszuwählen, diese akustisch oder per Fax abzurufen oder einen Diskussionsbeitrag abzusetzen. Die erste Phase war gekennzeichnet durch die Ausarbeitung eines Servicekonzeptes für einen Audiotexdienst, das vor allem dem Anspruch einer einfachen Bedienbarkeit genügen sollte. In lose gekoppelter Zusammenarbeit mit einem Softwareentwicklungsteam und Medienspezialisten entstand ein Werkzeug, mit dem die Einrichtung auch komplexer Funktionsabläufe für einen Telefonservice auf mehreren Leitungen realisiert werden konnte. Insofern gab es seitens der technischen Machbarkeit vorab keine Einschränkungen bzw. konnten spezielle Wünsche, wie etwa ein Mechanismus zur Bewertung von Beiträgen durch die Anrufenden, rasch auch einer technischen Lösung zugeführt werden.Anlage des Feldversuches und Funktionen des Grätzltelefons
Wir wählten als Testfeld ein Stadterweiterungsprojekt aus, bei dem zwar wesentliche Planungsentscheidungen bereits getroffen waren, aber in Detailfragen etwa der Grünraumgestaltung noch Spielraum vorhanden war. Zudem konnten wir die Dynamik eines solchen Mediums nicht abschätzen und wir vermieden es daher, Themen aufzubringen, die eine hohe Betroffenheit auslösen (etwa die Verkehrsproblematik), da diese Themen bereits von lokalen Arbeitsgruppen im Rahmen von Bürgerbeteiligungsverfahren bearbeitet wurden. Es war jedoch vorgesehen, auf Wunsch der Anrufer auf spezielle Themenbereiche einzugehen, etwa in der Form, daß neue Diskussionsbereiche eröffnet werden oder die Arbeitsgruppen des Bürgerbeteiligungsverfahrens über das Medium ihre Arbeitsweisen und Ergebnisse präsentieren können sollten.Die Entscheidung fiel auf das Stadterweiterungsgebiet Langobardenstraße, wo im Jahr 1995 2.700 neue Wohnungen fertiggestellt werden. Dieses Testfeld bot als wesentlichen Vorteil, daß wir auf bestehende Strukturen zurückgreifen konnten, da im ausgewählten Stadterweiterungsgebiet in einem Randbezirk Wiens bereits Maßnahmen für die Mitgestaltung etwa in Form eines eigenen Büros ("Stadttreff Aspern") und für die verbesserte Kommunikation der Beteiligten in Form einer Stadtteilzeitung ("hier fehlt noch was") getroffen waren. Gleichzeitig zu einer Wanderausstellung der MA 18 über dieses Bauvorhaben wurde vom November 1994 bis Februar 1995 das Grätzltelefon eihgerichtet, das folgende Funktionen erfüllte:
* Lokal spezifischer, preiswerter Informationskanal, über den Verwaltung und Politik zu geplanten Projekten informieren, Widerstände und Problembereiche orten und unmittelbar darauf reagieren können
* Bereitstellung von Informationen über die geplante Fertigstellung der Bauvorhaben
* Möglichkeit für die Anrufer zum Anbringen von Kommentaren über die Stadterweiterung
* Einbindung der Anrufer in einen rationalen Diskurs zwecks Abbau von Vorurteilen einerseits und Ausdrucksmöglichkeit für Gefühle zu Bauvorhaben andererseits
* Stimulierung der lokalen Kommunikation und Herausforderung der Möglichkeit, sich "auch mal so" kennenzulernen
* Verstärkung von horizontalen Dialogebenen (z.B. alteingesessene Bevölkerung - Zuzügler) und vertikalen (z.B. Bezirksvertretung - Bevölkerung)
* Integration einerseits des einzelnen Bewohners oder Haushaltes in das soziale Gefüge des Stadtteils, andererseits Integration in aktuell laufende Prozesse, wie zum Beispiel Bürgerbeteiligungsverfahren
* Rund-um-die-Uhr Erreichbarkeit mit jedem Telefonapparat
Bei der Gestaltung des Telefondienstes sollte vor allem berücksichtigt werden, daß die Kommunikationsvorgänge transparent verlaufen. Dies wurde durch die Einrichtung eines virtuellen öffentlichen Gemeinplatzes versucht, der nicht nur eine erste Stätte der Begegnung ist und die Möglichkeit zum Ausprobieren bietet, sondern wo auch Metainformationen, etwa die Einrichtung eines neuen Forums innerhalb des Telefonservice, transportiert werden können.
Bei der akustischen Gestaltung wurde darauf geachtet, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und eine Sprache zu wählen, die den Anrufer direkt anspricht, wobei auch umgangssprachliche Elemente verwendet wurden. Für die Gestaltung der Texte wurde ein professioneller Werbetexter engagiert.
Zur Erhöhung der Attraktivität wurden Elemente der Unterhaltung und ein Service-Bereich eingebaut. Daher wurde ein Wettbewerb für "die besten Geschichten und das lustigste Geräusch aus dem Grätzl" eingerichtet, bei dem die aktiven Teilnehmer selbst Jury sind. Weiters wurde der Versuch unternommen, einen Platz für lokale Nachrichten anzubieten, eine Börse für Mitfahrgelegenheiten für den Weg zur und von der Arbeit einzurichten und Werbeflächen für die lokalen Wirtschaftstreibenden zur Verfügung zu stellen.
Am 8. November 1994 startete das Grätzltelefon mit einer Kapazität von vier Telefonleitungen. Zielgruppe waren 50.000 Personen des "Marchegger Asts", wobei insbesondere die Bewohner des Stadtteil Aspern (15.000 Einwohner), in dem die meisten Bautätigkeiten stattfinden, erreicht werden sollten.
Inhalte im "Grätzltelefon für den Raum Aspern"
Der Teilnehmer wählt die Nummer 589 30 22. Für den Anrufer fallen lediglich Telefongebühren zum Ortstarif an. Nach einer musikalischen Begrüßung wird der Apparat des Anrufenden daraufhin überprüft, ob die Steuerung mit Tasten möglich ist, ansonst wird die Sprecherkennung eingeschalten. Sodann hört der Anrufer einen akustischen Wegweiser und hat die Möglichkeit, unter folgenden Angeboten auszuwählen:
* "An der Bassena"
Gleich das erste Forum ist die "Bassena". Hier kann jeder Benützer sagen, was ihm oder ihr wichtig ist. Das können Berichte über Alltagsprobleme sein, Verbesserungsvorschläge oder "Frust ablassen". Vielleicht meldet sich jemand mit einer guten Idee oder einem Vorschlag.
* Informationen zum neuen Langobardenviertel
Hier wird erklärt, was alles im und rund ums neu entstehende Langobardenviertel passiert: was gebaut wird, welche Infrastrukrureinrichtungen neu hinzukommen, aber auch wie man dort zu Wohnungen kommt. Interessierte können Namen und Adresse aufsprechen um weitere Informationen zugeschickt zu bekommen.
* Mitreden beim Planen und Gestalten
Hier stellt sich der Stadttreff, die Koordinationsstelle für alle Bürgerbeteiligungsprojekte in diesem Viertel vor und gibt Termine von Planungsveranstaltungen und Workshops bekannt. Im Grätzltelefon werden nach Bedarf Diskussionsbereiche zu verschiedenen Themen wie "Verkehr", "Grünraumgestaltung" oder "Ausbildung" eingerichtet.
* Servicehotline
Das ist die Service- und Ankündigungsabteilung des Grätzltelefons. Hier sollen alle wesentlichen Informationen für den Alltag im Grätzl zu finden sein. Öffnungszeiten von Einrichtungen, die diensthabende Nachtapotheke, Ambulanzzeiten des Sozialmedizinischen Zentrums Ost, aber auch wann der nächste Bauernmarkt stattfindet und wo das nächste Schülerberatungszentrum zu finden ist. Hier waren einige Grundinformationen ständig vorhanden, jeder konnte aber seine persönliche Ankündigung oder ihren Hinweis aufsprechen. Weiters war eine Börse für "car sharing" eingerichtet, damit die Autos über die Donaubrücken besser ausgelastet werden.
* Der "Geschichten- und Geräuschewettbewerb"
Die Gesamtaktion war von einem Wettbewerb begleitet, der vor allem Jugendliche ansprechen soll. Die Bewohner sollen mit Cassettenrecorder Geräusche und Geschichten aus ihrem Grätzl sammeln und ins Grätzltelefon einspielen.
Ergebnisse des Feldversuches
Der Feldversuch "Grätzltelefon für den Raum Aspern" lief von November 1994 bis einschließlich Februar 1995. In diesem Zeitraum wurden 1998 Anrufe registriert.Die Anzahl der Versuche der Anrufer, im Auswahlbereich "Bassenatratsch" einen Beitrag einzubringen, beläuft sich auf 80, wovon tatsächlich 37 Nachrichten erfolgreich aufgesprochen worden sind. Bei den anderen wurde entweder gleich aufgelegt oder der Anrufer hat die Nachricht selbst wieder gelöscht. Also 20% der insgesamt 394 Besucher des Bassenatratsch starteten einen Aufnahmevorgang und 10% hinterließen tatsächlich eine für andere Anrufer abhörbare Nachricht.
Der Bassenatratsch war quasi ein Auffangbecken für lokale Anliegen. Drei Nachrichten (davon zwei sehr lange und gut argumentierte von Frauen) bezogen sich auf die Verkehrsproblematik: 10.000 Autos mehr durch neue Wohnungen; Notwendigkeit einer neuen Brücke; Appell an faires Verkehrsverhalten. Drei Anrufer beklagten sich über die komplizierte Bedienungsweise, drei fanden das Grätzltelefon eine tolle Sache. Ein Teilnehmer äußerte sich über den geplanten Bau eine Moslemfriedhofes insofern, als bei anderen Religionen auch keine separaten Friedhöfe gebaut würden. Ein Herr, der auch Namen und Telefonnummer preisgibt, beschwerte sich über die Wasserqualität. Ein Anrufer schlägt vor, im Jugendzentrum Hirschstetten einen Spritzencontainer aufzustellen, wie schon anderswo praktiziert. Zwei äußerten sich mißgünstig über die Wiener als solche. Ein Jugendlicher beschwerte sich, daß ein Baseballkorb schlechter Qualität montiert worden ist. Jemand bietet Freizeitbetätigungsmöglichkeiten an und schlägt auch Langlaufen vor, worauf jemand erwidert und den Schneemangel bemängelt. Ein Anrufer hat eine bekannte Stimme erkannt und ruft "Servus Leo". Ein Beitrag lautet "Hier ist ja keine Zuspielung echt" und ein anderer "Send me Roses to Berlin, thank you, John". Nicht zuletzt ist auch ein kurzes herzliches Lachen zu hören.
Die Möglichkeit der Bewertung hatten die Anrufer kaum angewendet, da durch regelmäßige Moderation versucht worden ist, passende Beiträge vorzureihen um so mehr Übersichtlichkeit zu schaffen.
Das "Grätzltelefon" wurde von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der MA 18 als brauchbares Medium zur Kontaktaufnahme und Bereitstellung detaillierter Informationen für eine lokale Zielgruppe bewertet. Es wurde jedoch seitens der zentralen Stadtverwaltung nicht als Instrument verwendet, mit der betroffenen Bevölkerung über das Medium in Kontakt zu treten. Hierzu hätten weitere Vereinbarungen getroffen werden müssen, daß Magistratsbeamten regelmäßig die neuen Beiträge abhören und zu lokalpolitischen Fragen Stellung nehmen. Dieser Aspekt wurde in der Planungsphase des Grätzltelefons wiederholt diskutiert; tatsächlich erklärten sich auch ein Beamter der Planungsabteilung und ein Mediator des lokalen Bürgerbeteiligungsverfahrens bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Aufgrund der geringen lokalpolitisch gefärbten Beiträge, die auf die Stadterweiterung Bezug nahmen, schien ein Eingreifen jedoch nicht notwendig.
Interesse an den Diskussionsinhalten gab es auch seitens der Bezirkspolitiker, die sich eine statistische Auswertung der Beiträge erwarteten, jedoch wenig Bereitschaft zeigten, sich selbst als Teilnehmer im Grätzltelefon einzubringen. Dies mag auch an einer falschen Einschätzung des notwendigen Zeitaufwandes oder an einem falschen Verständnis der Funktionsweise gelegen haben.
Das Grätzltelefon kann mit einer Auswahl der wichtigsten Beiträge auch nach dem Feldversuch unter der Wiener Telefonnummer 5893022 angewählt und abgehört werden.
Schlußfolgerungen
Telematische Medien wie das Internet, Mailboxen oder Sprachboxen sind "interaktiv" auf zweierlei Art: sie gestatten das Auswählen von Informationsbereichen, erlauben also direkte Interaktion mit dem System, und gestatten zusätzlich den Austausch von Nachrichten mit anderen Personen (Interaktion zwischen Subjekten). Diese neue Medien sind somit die ersten universellen bidirektionalen Massenmedien, die zur Verfügung stehen.Sie eignen sich vor allem dort für politische Partizipation, wo Betroffenheit herrscht: im unmittelbaren Lebensbereich, also dort wo die Menschen leben und arbeiten. Die Chance, mittels Telekommunikation den Diskurs über die Gestaltung der eigenen Umgebung zu verstärken, sollte angesichts der Krise der traditionellen Demokratieformen genützt werden.
In bestehende Bürgerbeteiligungsprojekte einbinden
Telematische Medien müssen Bestandteil und Mittel eines größeren gesellschaftlichen Projekts sein - nicht deren Ziel und Inhalt. Das übersehen viele enthusiastische Befürworter der neuen Kommunikatonstechnologien. Technikgetriebene Projekte werden so zurecht zur Zielscheibe der Kritik ernsthaft um demokratische Anliegen besorgter Menschen.
Die Medien sind daher am besten im Rahmen umfassend angelegter partizipatorischer Aktionen einzusetzen. Dieser Überlegung sind wir auch bei der Konzeption des "Grätzltelefons" gefolgt, das in das Bürgerbeteiligungsprojekt in Aspern eingebettet war.
Auch im Vorfeld von Volksabstimmungen oder Lokalwahlen würde sich ein solcher Telefondienst eignen, um zu Sachthemen eine zusätzliche Medienebene für einen rationalen Diskurs anzubieten, an dem jeder teilnehmen kann.
Beteiligung möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen
Voraussetzung für einen erfolgreichen und verbindlichen Diskurs ist, daß alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen daran teilhaben können: die zuständigen Stellen einer Stadtverwaltung, öffentlich tätige Initiativen und Vereine aber auch die etablierten Interessensvertretungen, einzelne Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner und wirtschaftliche und kulturelle Gruppierungen.
Neue Benutzerkreise durch sprachbasierte Systeme erschließen
Eine wichtige Erfahrung zum Themenkreis der sich anbietenden Kommunikationstechnologien läßt sich aus dem Versuch mit dem Asperner Grätzltelefon ableiten: Mit neuen Medien wie Sprachboxsystemen läßt sich der Benutzerkreis der telematischen Informationssysteme massiv erweitern. Es erhalten Bevölkerungsschichten Zugangsmöglichkeiten, die sonst nicht in der Lage wären, bidirektionale Dienste zu nutzen. Der im Rahmen des Projekts durchgeführte Feldversuch zeigte eine für das anspruchsvolle Thema Stadtplanung überaus befriedigende Beteiligungsquote, obwohl praktisch kein Werbebudget zur Verfügung stand.
Hohe Reichweite und funktionelle Vielfalt durch Medienmix
Jedes Medium besitzt seine Charakteristika, Stärken und Schwächen. Vor allem aber erreichen sie unterschiedliche Zielgruppen. A priori ist demnach keines auszuschließen, sondern im Optimalfall ein Zusammenspiel der jeweils unterschiedlichen Funktionen in einem idealen Medienmix anzustreben.
Zeitgemäße Stadtinformationssysteme werden daher auf eine möglichst breite technologische Basis gestellt. Gemischte Gesamtsysteme erreichen viel mehr Menschen als jede einzelne Technologie, gleichzeitig bieten sie insgesamt den größtmöglichen Funktionsumfang.
Publizistische Gestaltungserfordernisse beachten
Viele Stadtinformationsprojekte erreichen ihre gesteckten Ziele nicht oder haben keine Relevanz. Dieses Scheitern darf nicht nur in der geringen Akzeptanz der Medientechnologie gesucht werden. Vielmehr sind die angebotenen Inhalte, ihre Aufbereitung und nicht zuletzt ihre Aktualisierung wesentliche Diffusionskriterien. Die publizistische Aufbereitung umfaßt Selektion von Informationen, aktuelle, dem jeweiligen Medium adäquate Aufbereitung und nicht zuletzt eine aktive publizistische Rolle, bei der Themen selbsttätig aufgerollt und Medienereignisse produziert werden. Nicht nur Informationsangebote müssen aufbereitet werden, sondern auch die Möglichkeiten zu aktiver Kommunikation und Austausch. Telematische Medien müssen daher von den Betreibern als "publizistische Medieninstrumente" gesehen werden. Sonst bleiben sie das ausschließliche Interessensfeld eines kleinen technologiebegeisterten Publikums.
Organisatorische und wirtschaftliche Planung des fortlaufenden Medienbetriebs
Ein beträchtlicher Teil ehrgeiziger Stadtinformationsprojekte ist trotz anfänglich guter Resonanz der Benutzer schon nach wenigen Monaten unbrauchbar oder nur mehr in sehr eingeschränkter Funktionalität verfügbar geworden. Der Grund lag in der fehlenden Planung und vor allem fehlenden Budgetierung des laufenden Betriebs. Nur ein Teil der notwendigen Aufwände für derartige Systeme sind Errichtungskosten. Ein beträchtlicher Teil fällt später, im laufenden Betrieb als Arbeitskraftkosten für die Wartung, Moderation und Aktualisierung der Datenbestände und des Informationsangebots an.
Verbindliche aktive Teilnahme der Politik notwendig
Die Teilnahme der politischen Repräsentanten ist unverzichtbar. Diese können Nutzen aus dem Prozeß ziehen, wenn sie ihr Interesse für Bürgeranliegen durch unmittelbare Reaktionen (durch Wortmeldungen oder durch konkrete Maßnahmen und Eingriffe) unter Beweis stellen. Unterbleibt diese Reaktion und Teilnahme, verlieren das Medium und die Politik an Glaubwürdigkeit.
Keine überzogenen Hoffnungen wecken
Trotz aller Möglichkeiten, die die Telekommunikation bietet, ist sie immer nur ein Mittel, ein Medium. Das kann nur wirksam werden, wenn es auf ein politisches Umfeld trifft, in dem es den Willen zur Partizipation und die Rahmenbedingungen dazu vorfindet. Es kann die Eintrittsschwelle in den politischen Prozeß verringern, indem es den Informationsaustausch erleichtert oder attraktiver macht. Es müssen aber die Rahmenbedingungen wie Kooperationsbereitschaft von Politik und Verwaltung sowie die Bereitschaft zum Diskurs bei allen Beteiligten gegeben sein. Medien können hierzu eine gestaltete Struktur wie Themenforen oder regelmäßige Online-Treffs vorgeben, die den Ablauf der Kommunikation vorzeichnen und unterstützen.
Damit erhalten telematische Medien die Rolle einer neuen zusätzlichen Ebene im demokratischen Prozeß. Diese bietet mehr Menschen Artikulationsmöglichkeiten als herkömmliche Massenmedien, sind aber eingebettet und abhängig von den anderen Ebenen der politischen Auseinandersetzung. Diese Einbettung ist die Voraussetzung für gesellschaftpolitische Relevanz. Quasi "autistisch" geführte Diskurse - wie sie in vielen Bereichen des UseNets geführt werden - bleiben bedeutungslos für die Außenwelt.
Zusammenfassung
Den interaktiven Medien eilt ein Ruf voraus, sie würden das Zeitalter der elektronischen Demokratie einleiten. Entscheidungsträger verwenden diese Metapher um Fortschritt zu demonstrieren oder Investitionen und Förderungen im High-Tech Sektor zu rechtfertigen. Doch ähnlich der Metapher "Datenautobahn", die eine falsche Analogie in Anbetracht der Vielfalt der Telekommunikationsnetze erzeugt, lassen sich demokratische Verfahrensregeln nicht einfach durch elektronisch vermittelte Kommunikationsvorgänge ersetzen.Der Einsatz neuer Medien im Zuge einer demokratischen Erneuerung ist gewiß sinnvoll, doch erfordert dieser die Bereitschaft seitens der Politik und Verwaltung, Veränderungen etwa im Ablauf von Planungs-, Entscheidungs- und Verwaltungsvorgängen an diese Medien anzupassen und letzlich deren Direktheit und Horizontalität auszunützen. Die Lösung besteht hier gewiß nicht in der Einführung einer Technologie, sondern in einer Förderung eines organischen Wachstums neuer Kommunikationsebenen, und dazu zählen auch telematische Medien. Der Feldversuch "Grätzltelefon" oder Beispiele im Internet zeigen, daß diese Medien den Diskurs vor allem zu lokalpolitischen Themen unterstützen können und Integrationsfunktion haben. Interaktive Telekommunikationsdienste sind somit in die Planung lokaler Medien im Medienmix einzubeziehen, um lokale Kommunikation zu fördern und greifbarer zu machen.
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